Der Astrophysiker Michaël Gillon über ein neu entdecktes Planetensystem und seine Suche nach bewohnbaren Exoplaneten im All, über seinen Weg zur Wissenschaft und die großen wissenschaftlichen Fragen, die ihn nachts wachhalten.

Wer sind Sie und was ist Ihr Beruf?

Mein Name ist Michaël Gillon. Ich bin FRNS-Forschungsdirektor und Astrophysiker an der Universität Lüttich, Belgien. Mein Forschungsgebiet ist die Exoplanetologie, die Entdeckung und Erforschung von Planeten, die um andere Sterne als die Sonne kreisen.

Woran arbeiten Sie derzeit?

Den größten Teil meiner Forschungszeit widme ich zwei Projekten. Das erste heißt SPECULOOS und befasst sich mit der Suche nach potenziell bewohnbaren Exoplaneten in der Umlaufbahn um nahe Sterne mit sehr geringer Masse. Das zweite ist die Untersuchung der sieben Planeten, die mein Team und ich 2017 um einen nahen kleinen Stern mit dem Prototyp von SPECULOOS gefunden haben. Dieses Planetensystem heißt TRAPPIST-1. Es beherbergt sieben Erd-große Planeten, von denen 3 bis 4 potenziell bewohnbar sind. Sie sind alle außerordentlich gut geeignet für eine detaillierte atmosphärische Charakterisierung mit dem neuen Weltraumteleskop JWST. Meine Kollegen und ich wollen JWST nutzen, um festzustellen, ob diese sieben Planeten Atmosphären haben, und wenn ja, wie sie zusammengesetzt sind und ob einige von ihnen chemische Spuren biologischer Aktivität aufweisen. Wenn wir nachweisen könnten, dass es dort draußen Leben gibt, würde sich unsere Sicht auf den Kosmos für immer verändern.

Welcher Trend wird Ihre Arbeit am meisten beeinflussen?

Als Wissenschaftler werde ich natürlich von der Arbeit und den Ergebnissen anderer Wissenschaftler beeinflusst. Aber ich werde auch von meiner schieren Neugierde angetrieben. Seit meiner Kindheit wollte ich immer wissen, ob es anderswo im Universum Leben gibt – diese Frage war immer der Hauptantrieb für meine Arbeit.

Was reizt Sie am meisten an Ihrer Arbeit?

Dass es keine Arbeit ist, sondern meine Leidenschaft. Jeden Morgen bin ich sehr glücklich, dass ich beruflich fremde Welten suchen und untersuchen kann. Das ist mein wahr-gewordener Kindheitstraum – und ich habe es noch nie als Arbeit empfunden.

Mit wem würden Sie gerne einmal zusammenarbeiten?

Mit niemand Neuem, denn ich arbeite bereits mit einigen der besten Exoplaneten-Experten der Welt zusammen.

Was hält Sie nachts wach?

Große wissenschaftliche Fragen wie „Sind wir allein im Universum?“, „Gibt es da draußen noch fortgeschrittenere Zivilisationen, und wenn ja, beobachten uns einige von ihnen?“, „Wie ist das Leben auf der Erde entstanden?“, aber auch metaphysische Fragen wie „Ist unser Universum unendlich, und gibt es unendlich viele andere Universen?“, „Gibt es wirklich eine absolute Realität?“ usw. Und manchmal bleibe ich nachts aus banaleren Gründen wach, z. B. wegen der Rechnungen, die ich bezahlen muss, oder wegen der Familie, um die ich mich kümmern muss.

Was ist Ihre Rolle bei der diesjährigen 7. Berlin Science Week?

Ich werde zusammen mit Prof. Heike Rauer vom DLR Berlin am 3. November 2022 in der belgischen Botschaft einen Vortrag über Exoplaneten halten. Mein Teil wird sich auf SPECULOOS, TRAPPIST-1 und die Suche nach potenziell bewohnbaren Planeten um Sterne mit sehr geringer Masse konzentrieren, während Prof. Rauer die nächste große Exoplaneten-Raumfahrtmission PLATO vorstellen wird, die im Jahr 2026 starten soll.

Warum Berlin Science Week?

Weil die Berlin Science Week eine der prestigeträchtigsten wissenschaftlichen Veranstaltungen in Europa ist und es eine Ehre für mich ist, eingeladen worden zu sein. Ich finde es sehr wichtig, dass Wissenschaftler ihre Leidenschaft und ihr Wissen mit der Öffentlichkeit teilen, vor allem mit den Jüngeren, denn die Wissenschaft ist eine wunderbare Quelle der Inspiration und Neugierde.

Was ist Ihr Lieblingsplatz in Berlin?

Ich fand das Brandenburger Tor schon immer großartig.

Was lesen Sie gerade?

Früher habe ich viele wissenschaftliche Bücher und Abhandlungen sowie Science-Fiction-Romane gelesen. Aber mit dem Fortschreiten meiner Karriere ist meine Freizeit geschrumpft und ich lese nicht mehr so viel wie früher. Jetzt lese ich gerade ein niederländisches Lehrbuch. Niederländisch ist nämlich eine der beiden wichtigsten Amtssprachen Belgiens, und ich schäme mich ein bisschen, dass ich es nicht besser beherrsche…

Gibt es eine Erkenntnis, die Sie aus der Pandemie mitnehmen möchten? Hat sich irgendetwas in Ihrem Tagesablauf geändert?

Telearbeit kann sehr effizient sein, aber die Pandemie hat mich auch daran erinnert, dass wir Menschen soziale Wesen sind und dass wir unbedingt persönliche Beziehungen brauchen. Aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen baue ich nun ein wenig Telearbeit in meinen Alltag ein, aber nicht zu viel 🙂

Erzählen Sie uns einen lustigen oder unbekannten Fakt über Sie!

Als Teenager war ich kein besonders motivierter Schüler und wusste nicht, was ich beruflich machen wollte. Ich habe viele Berufe in Erwägung gezogen: Flugzeugpilot, Schauspieler, Comiczeichner, Biochemiker, Videoclubmanager usw. Am Ende meiner Schulzeit war ich immer noch auf der Suche nach einem Beruf und, da ich gerne Sport trieb, beschloss ich, der belgischen Armee als Infanterist beizutreten, um zu sehen, was passiert. Nach mehreren Jahren in der Armee, darunter vier Monate in Ex-Jugoslawien als UN-Blauhelm, erkrankte ich an einer Nervenkrankheit (Fibromyalgie), die mich für den Militärdienst untauglich machte. Daraufhin begann ich, viel zu lesen und entwickelte eine starke Vorliebe für die Wissenschaft. Im Alter von 24 Jahren wurde ich schließlich aus medizinischen Gründen aus der Armee entlassen und begann ein wissenschaftliches Studium an der Universität Lüttich. Und so begann meine wissenschaftliche Karriere… Heute ist meine Fibromyalgie unter Kontrolle und ich mache meinen Job so gut wie nie zuvor.

In der Zukunft würden Sie gerne…

…einen Beitrag zur Beantwortung der Frage, ob es Leben irgendwo im Universum gibt, leisten.

PS: Was ist das Köstlichste, das Sie diese Woche gegessen haben?

Lütticher Hackbällchen mit belgischen Pommes und ein leckeres Trappistenbier 🙂 Wissen Sie, Belgien ist zwar klein, aber voll von guten Dingen zum Essen und Trinken. Unsere Schokolade, unsere Pommes und unsere Biere sind die besten der Welt!

Michaël Gillon ist der Projekt Leader von SPECULOOS, ein Projekt der Université de Liège, Belgien, in Partnerschaft mit der Cambridge University, UK und der University of Birmingham, UK, the Massachusetts Institute of Technology, US, Universität Bern, Schweiz, the Canary Islands Institute of Astrophysics, Spanien und dem European Southern Observatory.

Michaël Gillon stellte sein Werk bei der Veranstaltung „Searching for Habitable Worlds around Nearby very low-mass Stars“ vor, die von Wallonie-Bruxelles International und der Botschaft von Belgien organisiert wurde und am 03. Nov bei der Berlin Science Week 2022 stattfand.