Wer sind Sie und was machen Sie beruflich?

Ich bin wissenschaftliche/administrativer Koordinator des Paul Drude Instituts für Festkörperelektronik. Das ist ein Leibniz-Institut im Forschungsverbund Berlin. Hier bin ich auch Abteilungsleiter für Technologie und Transfer, und da beschäftigt mich der Kontakt zur Außenwelt – das sind Industriekontakte ebenso wie die Wechselwirkung mit der breiten Öffentlichkeit.

Woran arbeiten Sie jetzt gerade?

Im Moment arbeite ich an unseren Projekten zur Berlin Science Week auf dem Art & Science Forum, insbesondere an dem Großen Abend „From Order to Disorder and Back„. Das wird ein abenteuerlicher Austausch zwischen Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften und Kunst.

 Sie sind BrainCity-Botschafter. Warum haben Sie sich dazu entschieden, sich in dieser Funktion in Berlin zu engagieren?

Berlin ist oft recht laut in manchen Ecken und viel zu leise in anderen. Zu leise scheint es mir in wichtigen Kernkompetenzen: der Wissenschaft und intellektuellen Szene, die außerhalb von Berlin gar nicht so sehr gesehen werden, wie sie das verdient hätten. Der Wissenschaftsstandort Berlin ist sehr stark, wunderbar divers und extrem international. Ich möchte der Welt davon erzählen.

Was hat der Wissenschaftsstandort Berlin aus Ihrer Sicht zu bieten?

Ein ganz wesentlicher Punkt ist die in Berlin fast einzigartige Offenheit für Neues, Überraschendes und auch Wagemutiges. Berlin ist durch eine sehr junge Start-up Szene geprägt, wo man ohne Abenteuerlust nicht vorankäme. Die Grundlage der Wissenschaft ist das Überschreiten von Grenzen, die Suche nach dem Neuen. Berlin hat da eine wunderbare Historie, die richtige Atmosphäre, die phantastischen Menschen. Das nicht nur durch die zahllosen Wissenschaftsorganisationen und Forschungseinrichtungen, die hier vertreten sind, sondern auch durch das kulturelle Umfeld und den Berlin-eigenen internationalen Sound.

Wie sehen Sie die Rolle von Veranstaltungen wie der Berlin Science Week im wissenschaftlichen und kulturellen Leben Berlins?

Die Berlin Science Week hat sich ganz enorm entwickelt. Sie zielt auf ein internationales Publikum, das in Berlin lebt und Berlin gestaltet und reicht damit weit über die Stadt hinaus. Die Berlin Science Week ist ein großer Multiplikator für das Abenteuer Wissenschaft. Sie bietet ein enormes Spektrum von Vorträgen bis zu Experimenten, Mitmachen, Aktionen, Ausstellungen nahezu jeder Disziplin. Das Verbindende ist die Begeisterung am intelligenten Austausch.

Sie arbeiten am Paul Drude Institut für Festkörperelektronik. Können Sie uns mehr über die aktuellen Projekte dort erzählen?

Das Paul Drude Institut für Festkörperelektronik ist ein Leibniz Institut, das sich mit Grundlagenforschung der Materialwissenschaften beschäftigt. Wir sind weltweit dafür bekannt,  Materialien mit atomarer Genauigkeit herzustellen. Und da interessieren uns im Moment natürlich Materialien, die für künftige Quantentechnologien von Relevanz sind. Das ergibt sich ganz natürlich, weil man, wenn man mit Materialien auf die atomare Ebene runterskaliert, in einen  Bereich kommt, wo Quanteneffekte relevant oder dominant werden.

Welche Entwicklungen oder Entdeckungen am Institut haben Sie in jüngster Zeit besonders fasziniert oder überrascht?

Das ist schwer zu sagen –  die Grundlagenforschung hat ihre ganz eigene Faszination und es können sich mit deutlicher Verzögerung überraschende Folgen in der Anwendung ergeben. Oft wird die Bedeutung erst rückblickend sichtbar. So hat das PDI mit seiner Forschung dazu beigetragen, dass es heute LEDs gibt, die man in jedem Baumarkt kaufen kann. Heute geht es uns darum, Materialien mit ungewöhnlichen Eigenschaften zu entwickeln, die vielleicht bislang als unvereinbar galten. So interessieren uns zum Beispiel transparente Leiter, also Materialien, die Licht durchlassen, obwohl sie elektrischen Strom leiten – was nicht typisch ist. Bei elektrischen Leitern denkt man zum Beispiel an Metalle, die ja eher Licht reflektieren. Das braucht man für die Optimierung zum Beispiel von Solarzellen, wo man dann Kontakte oben auf der Solarzelle machen kann, ohne deren Effizienz zu reduzieren, weil sie das Licht nicht abschatten. Es ist ein breites Spektrum an ungewöhnlichen Materialien, an dem wir arbeiten. Richtig überraschende, revolutionäre Dinge ergeben sich bei uns aus kleinen Schritten, mit denen wir grundlegende Erkenntnisse der Materialwissenschaften gewinnen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Festkörper-Elektronik und welche Rolle spielt das Paul-Drude Institut in diesem Zusammenhang?

Festkörper-Elektronik hat eine goldene Zukunft, wenn wir wieder auf die Entwicklung in der Vergangenheit zurückschauen. Der Transistor ist in den 50er Jahren erfunden worden als physikalisch interessantes Phänomen. Damals schon mit dem Gedanken, dass man Anwendungen daraus machen könnte. Heute sind Halbleiter das größte Marktsegment überhaupt. Die Weiterentwicklung der Materialwissenschaften wird diese Dominanz weiter zeigen. Alle wirklichen Durchbrüche in elektronischen Technologien basieren auf materialwissenschaftlichen Entwicklungen. Die Realisierung von Quantencomputern hängt ganz wesentlich von Materialien ab, die es heute noch garnicht gibt. Das gilt genauso für Virtual Reality, Kommunikationstechnologien, etc.

Wie sammeln und strukturieren Sie Ihre Gedanken?

Die Grundlage wissenschaftlichen Denkens ist der freie Gedanke und der freie Austausch von Gedanken. Da geht es ganz wesentlich darum, dass man mit unterschiedlich denkenden Menschen zusammenarbeitet, um über die Grenzen hinauszukommen, die man selber durch Erfahrung und Gewohnheiten hat. Das Sammeln, Strukturieren und Weiterentwickeln von Gedanken geschieht zumeist in Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden, mit Kolleg:innen. Man geht in Diskussionen rein, man entwickelt Ziele, argumentiert, verwirft und reist gemeinsam auf einem Weg, der in ganz großen Teilen ungeplant war und im Prozess entsteht.

Was hält Sie nachts wach?

Das was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über alle Disziplinen hinweg antreibt, ist die Neugier, die Suche nach der nächsten Frage. Und genau diese nächste Frage ist immer spannender als die vorletzte Antwort, so dass ich durchaus schlaflose Nächte habe, weil ich neue Fragen finde, die einfach spannend sind, die ich mit anderen Leuten diskutieren möchte. Als Physiker ist man es dabei gewohnt, wenig Ansprechpartner im persönlichen Umfeld zu haben, weil Physik so wahnsinnig komplex ist und eine oft ungeliebte Sprache als Hilfsmittel nimmt (die Mathematik). Auch deswegen bemühe ich mich sehr darum, die Fragen und die Lösungswege, die wir diskutieren, allgemein verständlich zu machen; um dieses zu diskutieren und dadurch auch selber neuen Input zu bekommen.

Was lesen Sie gerade und welche Newsletter abonnieren Sie?

Ich abonniere keine Newsletter und versuche, mich von der Realtime-Flut etwas abzukoppeln. Ich habe Devices, die vom Internet vollkommen getrennt sind, um in Ruhe arbeiten zu können. Und ich lese ab und zu Papier Bücher. So lese ich jetzt gerade das Buch „How Democracies Die“ von Levitsky und Ziblatt. Das ist ein Buch, das 2018 geschrieben wurde, die damalige politische Situation in Amerika untersucht und versucht, aus gesellschaftswissenschaftlicher Sicht zu schauen, ob man allgemeine Erkenntnisse über Übergänge in Gesellschaftssystemen formulieren kann – übrigens die treibende Frage in dem Event From Order to Disorder and Back – Phase Transitions in Matter, Mind and Society am 9.11. bei der Berlin Science Week

Was ist Ihr Lieblingsort in Berlin?

Oh, meinen Lieblingsort verrate ich nicht! Das ist einer, der sich dadurch auszeichnet, dass ich da ungestört aber dennoch mitten im Leben bin.

Welche Trends in Ihrem Fachgebiet werden Ihrer Meinung nach Ihre Arbeit in den nächsten Jahren am meisten beeinflussen?

Es gibt einen Trend, wie Wissenschaft betrieben wird. Da ist in der Materialwissenschaften ganz wesentlich, dass wir die „Predictive“ Materialwissenschaften vorantreiben, also nach Möglichkeiten suchen, Materialeigenschaften vorherzusagen, bevor wir die Materialien herstellen. Die Beziehung zwischen Struktur und Eigenschaften von Materialien lässt sich in Kristallen von Elementen recht einfach beschreiben. Aber in Materialkombinationen wird es immer komplexer. Und da nehme ich an, dass der Input von Artificial Intelligence und Machine Learning auch bei der Materialanalyse und der theoretischen Materialsynthese eine ganz wesentliche Rolle spielen wird.