Thomas Boehm spricht mit uns über seinen bahnbrechenden Beitrag zur Immunforschung, die verblüffende Vielfalt an Immunlösungen in der Natur, die Rolle von Grundlagenforschung und den steinernen Weg zur perfekten Küche.

Wer sind Sie und was ist Ihr Beruf?

Ich bin Arzt und arbeite jetzt als Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik.

Woran forschen Sie gerade?

Uns interessieren die Ereignisse, die zur Ausbildung der besonderen Form des Immunsystems bei Wirbeltieren geführt haben könnten. Es ist ein Puzzlespiel, bei dem wir versuchen, aus den Charakteristika heute lebender Vertreter die mögliche Urform abzuleiten.

Können Sie Ihren Arbeitsplatz in zwei Worten beschreiben?

Interessant, aufregend.

Wie sammeln und strukturieren Sie Ihre Gedanken?

In einer inzwischen etwas zerschlissenen Kladde, und einem immer größer werdenden Zettelkasten.

Welche Rolle spielt Grundlagenforschung bei der Bekämpfung ganz akuter Krankheiten wie COVID-19?

Grundlagenforschung ist ja per se nicht zielgerichtet und gerade deshalb besonders wertvoll, wenn es um die Bewältigung unerwarteter Probleme geht. Man kann eben nie wissen, welche Erkenntnisse aus den Gesellschafts- oder Lebenswissenschaften, oder aber der Natur- und Ingenieurwissenschaften plötzlich anwendungsrelevant werden.

Zu welchem Paradigmenwechsel in der Immunologie hat Ihre Forschung beigetragen?

Die wesentlichste Erkenntnis aus den letzten Jahren ist die von der ungeheuren Vielfalt von Lösungen, die die Natur für das Problem der Erhaltung der körperlichen Integrität durch Immunabwehr gefunden hat. Was bei der einen Art zur fatalen Immunschwäche führen würde, war bei anderen der Ausgangspunkt für die Entwicklung ganz neuer Lebens- und Fortpflanzungsformen. Dem Arzt bietet die Natur somit eine unerwartet reichhaltige Auswahl möglicher Therapieansätze für die Linderung immunologischer Erkrankungen.

Welche Erkenntnis hat Sie selbst am meisten überrascht?

Die verblüffende molekulare Diversität bei Wahrung gleicher Gestaltungsprinzipien von Immunabwehr.

Hat Sie die Pandemie etwas gelehrt, das Sie gerne teilen möchten?

Es ist offenbar geworden, dass der Prozess des Erkenntnisgewinns in der Wissenschaft der Öffentlichkeit wenig vertraut ist. Die immerwährende Suche nach belegbaren Fakten und die damit erforderliche ständige Revision des Wissenstands erscheint vielen ausserhalb der Wissenschaft als Zeichen von Ungenügen, während dieses Verfahren ja gerade die Stärke der Suche nach bestmöglicher Erklärung der Welt ist.

Welche(n) Newsletter haben Sie abonniert? / Was lesen Sie gerade?

Orlando Figes: „Die Europäer“ und dabei wiederentdeckt Pauline Viardot-Garcia.

Nennen Sie einen witzigen oder unbekannten Fakt über sich!

Ich schreinere und baue Küchen; aber jedes Mal geht etwas anderes schief.

In der Zukunft würden Sie gerne…

die perfekte Küche schaffen.

Was ist Ihr Lieblingsort in Berlin?

Ich bin zu selten da, als dass ich da schon einen Lieblingsplatz hätte ausfindig machen können.

PS: Was ist das Leckerste, das Sie diese Woche gegessen haben?

Gebratene Auberginen mit Joghurtsauce (Borani Banjan)

 

Der weltweit angesehene Immunologe Professor Thomas Boehm hat erforscht, wie sich das Immunsystem der Wirbeltiere in der Evolution entwickelt hat, wie es sich im Laufe des Lebens etabliert und sogar, wie es sich auf unsere Partnerwahl auswirkt. Dabei hat er immer wieder wichtige und überraschende Entdeckungen gemacht, die weit über die Immunologie hinaus reichen. Für seine bahnbrechenden Beiträge zum Verständnis der Evolution des Immunsystems in Wirbeltieren erhielt er den Heinrich-Wieland-Preis 2021.

Er hat seine Arbeit auf der Veranstaltung Hoffnungsträger Immunforschung – Eine Perspektive für den verwundbaren Menschen?vorgestellt, die von der Boehringer Ingelheim Stiftung organisiert wurde und am 2. November 2021 auf der Berlin Science Week stattfand.

 

Der Heinrich-Wieland-Preis

Mit dem Heinrich-Wieland-Preis zeichnet die Boehringer Ingelheim Stiftung weltweit herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre bahnbrechende Forschung zur Chemie, Biochemie und Physiologie biologisch aktiver Moleküle und Systeme sowie deren klinische Bedeutung aus. Der mit 100.000 Euro dotierte Preis ist nach dem Chemiker und Nobelpreisträger Heinrich Otto Wieland (1877–1957) benannt und wird seit 1964 jährlich vergeben. Unter seinen Laureaten, die von einem wissenschaftlichen Kuratorium ausgewählt werden, sind vier spätere Nobelpreisträger. Seit 2011 vergibt die Boehringer Ingelheim Stiftung den Preis.

www.heinrich-wieland-prize.de

 

Die Boehringer Ingelheim Stiftung

Die Boehringer Ingelheim Stiftung ist eine rechtlich selbstständige, gemeinnützige Stiftung und fördert die medizinische, biologische, chemische und pharmazeutische Wissenschaft. Errichtet wurde sie 1977 von Hubertus Liebrecht, einem Mitglied der Gesellschafterfamilie des Unternehmens Boehringer Ingelheim. Mit ihrem Perspektiven-Programm Plus 3 und den Exploration Grants fördert sie bundesweit exzellente unabhängige Nachwuchsforschergruppen. Außerdem dotiert sie den internationalen Heinrich-Wieland-Preis sowie Preise für Nachwuchswissenschaftler und fördert institutionelle Projekte wie beispielsweise das Institut für Molekulare Biologie (IMB) und die Lebenswissenschaften an der Universität Mainz oder auch das European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg.

www.boehringer-ingelheim-stiftung.de